Sonntag, 4. Oktober 2015

Von Träumen und Realität

... Und so sitze ich hier. Eingehüllt in warme Decken, denn das von Vorurteilen geprägte „Afrika“ ist doch nicht so heiß, wie man mir es immer einreden wollte. Ich weiß nicht so wirklich, was ich mit mir anfangen soll, denn die stressige Zeit der Vorabi-Prüfungen ist bereits zu Ende. Und so fängt man an nachzudenken, verliert sich in Gedanken irgendwo im Nebel, der die Fensterscheiben grau färbt.

Jahrzehnte scheint es her, dass mein kleines, naives Selbst so begeistert von jener Infoveranstaltung wiederkam. Ich wollte auch so sein, wie jene fünf jungen Mädels, die mit so viel Selbstbewusstsein und Ausstrahlung von ihren Erfahrungen in der Welt berichteten. Ich wollte auch die Welt verändern und stolz sein auf mein Anderssein. Ein Traum grub sich irgendwo tief in meinem Herz ein. Von jenem Tag an, konnten sich meine Eltern nicht mehr retten vor all dem UWC-Gerede. Als der dicke Brief im Briefkasten lag und es eine Zusage war, konnte ich es noch immer nicht fassen, dass mein langjähriger Traum in Erfülllung gehen sollte. Selbst auf meinem ersten Flug zu einem anderen Kontinent, konnte ich es noch nicht glauben. 2 Jahre auf einer internationalen Schule, mit jungen Menschen aus aller Welt, die den gleichen Traum teilten.

Und so sitze ich hier. In jenem vorverurteilten Afrika. Nicht mal  mehr 100 Tage bleiben mir, nein, 64. 64 Tage von 730. Und noch immer habe ich nicht das Gefühl, hier zu sein.

Noch immer ist es wie ein Traum. Ein guter Traum, der mich immer wieder zum Lächeln bringt. In den vergangenen zwei Jahren habe ich wahnsinnig viel gelernt. Über die Welt, über Toleranz und Akzeptanz, über Respekt und Verständnis, über andere Kulturen und über meine Heimat. Über mich selbst. Ich habe Freunde gefunden, die mich inzwischen besser kennen, als ich mich selbst. Ich habe mich in einer mir anfänglich fremden Sprache verständigt, habe gelacht und geweint. Ich bin gewachsen, habe mich weiterentwickelt und habe Antworten auf meine Fragen bekommen. Doch eine Frage bleibt: Was wird passieren, wenn ich in 64 Tagen von meinem Traum aufwache? Zurück in Deutschland. Zurück in meinem „alten“ Leben. Habe ich in irgendeiner Weise die Welt verbessert? In 64 Tagen wird dieser wunderschöne Traum ein Ende nehmen. Aufwachen, der Realität in die Augen blicken.  Ein neues Leben aufbauen, einen neuen Traum leben…

Und so sitze ich hier, unwissend, wie ich weiter träumen kann.

Ein Freund meinte, das Einzige, was zählt, ist: Was übrig ist, wenn ich die Augen aufmache. Nun, meine Freunde werden sich zurück in die Welt verteilen und ich werde anfangen einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen. Dementsprechend, ist da nicht viel, was übrig bleibt. Doch schaut man einmal durch den Nebel hindurch, sieht man die Farbe der Natur dahinter. Meine Freunde und ich, wo auch immer wir uns in der Welt befinden mögen, verbindet etwas, das sonst keiner verstehen kann und das uns keiner nehmen kann. Und ja, noch hat keiner von uns die Welt verbessert. Doch ein jeder von uns, bekam die Möglichkeit in die Hände gelegt, es zu tun. In 64 Tagen werden wir ein neues Leben starten mit jener Grundlage, die uns in den vergangenen beiden Jahren verbunden hat. Wir haben gelernt zu träumen und unsere Träume Realität werden zu lassen. 
Und so sitze ich hier, noch immer träumend…